Richard-Wagner-Festspielhaus, Bayreuth

Mystischer Abgrund nannte der Komponist Richard Wagner das unter der Bühne versteckte Orchester im 1876 eröffneten Bayreuther Festspielhaus. Dieses unsichtbare Orchester, dessen Klang wie bei einer Filmmusik aus dem Nichts kommt und den Raum füllt, sollte die Bühnenillusion in Wagners Opern verstärken. Nach Wagner sollte er die "widerwärtige Störung durch die stets sich aufdrängende Sichtbarkeit des technischen Apparates" verhindern, um die "Idealität" von der "Realität" zu trennen.

Der vom Architekten Otto Brückwald ausgeführte untypische Orchestergraben ist vom Publikum aus gänzlich uneinsehbar und terrassenförmig auf 6 Stufen unter der Bühne angeordnet. Die Akustik des Hauses erlaubt keine Lokalisierung des Orchesterklangs, der sich "allgegenwärtig" im Raum ausbreitet. Die Sänger auf der Bühne müssen aufgrund der Reflexionsverhältnisse eine Verzögerung zwischen den Zeichen des Dirigenten und dem Klang einkalkulieren.

Der Philosoph Theodor W. Adorno hat in diesem Zusammenhang das berühmte Wort von der "Verdeckung des Produziertseins durch das Produkt" geprägt. Er warf der Illusionsmaschinerie Wagners Manipulation vor und prangerte eine "Regression auf magisches Denken unterm Spätkapitalismus" an.

Das Verbergen und Verklären von Herstellungsprozessen hat über Wagner hinaus Bedeutung in der Ästhetik des 19. Jahrhunderts und zeigt sich ebenso in anderen Künsten, etwa in der mühevoll hergestellten Schwerelosigkeit beim romantischen Spitzentanz. Auch das Verbergen und gleichzeitige Voraussetzen der Schrift im Sprachverständnis jener Zeit, das Jacques Derrida dargestellt hat, geht in diese Richtung: Es soll nicht auffallen, dass hier nicht frei gesprochen, sondern gelesen wird.

In der Medientheorie der vergangenen Jahre hat der "mystische Abgrund" als Prinzip des Trennens und Verbergens wieder Beachtung gefunden, etwa im Vergleich zum Diorama von Louis Jacques Mandé Daguerre.